Archäozoologie

Dr. Günther Karl Kunst

 

Archäozoologie (Zooarchäologie) ist Archäologie mit Tierresten. Tierresten stellen offensichtlich biologische Materialien dar und werden in der Archäologie meistens als solche wahrgenommen. Dementsprechend konzentrieren sich viele Erwartungshaltungen seitens der Archäologie auf Themen, die eben mit diesen „biologischen“ Inhalten zu tun haben: Rekonstruktion ehemaliger Umweltverhältnisse und von vergangenen Haustierrassen.

Im Allgemeinen beschäftigt sich die Archäozoologie mit den Rollen, die Tiere in früheren Gesellschaften gespielt haben. Dazu zählen in erster Linie die Aneignung und Produktion von Fleisch und anderen tierischen Produkten, sowie menschliche Konsumgewohnheiten. Ebenso können handwerkliche Tätigkeiten, Glaubens- und Zeichensysteme sowie Rituale durch die Untersuchung von Tierknochenvergesellschaften erschlossen werden.

Es hieße aber das Potenzial archäologischer Tierreste in analytisch-heuristischer Hinsicht für die Interpretation von Fundstellen und Kontexten zu unterschätzen, wenn man jene auf ihren „biologischen“ Kern reduzieren würde. Sowohl einzelne Reste als auch ganze Proben stellen eben auch Artefakte dar, weil vergangene Gesellschaften diese hergestellt und/oder sich mit ihnen befasst haben. Dieser Umgang kann den ganzen „Lebenszyklus“ eines Objekts umfassen, etwa von der Produktion zu Gebrauch und Entsorgung. Gerade durch die Zusammensetzung der Proben kann vergangenes menschliches Verhalten sichtbar werden: besondere Verhaltensweisen können eben durchaus spezifische Tierknochenvergesellschaftungen hervorbringen.

Natürlich werden die Proben nicht nur durch menschliche Intentionshandlungen gestaltet, sondern auch durch „natürliche“ Prozesses, wie Verwitterung, Bodenverhältnisse oder ganz einfach durch die physischen Eigenschaften der archäologischen Kontexte (z.B. Gruben gegenüber Gehniveaus).

Die Taphonomie, eine paläontologische (also geowissenschaftliche) Disziplin, beschäftigt sich mit der Entstehung, dem Aufbau und dem weiteren Schicksal von Fundvergesellschaftungen. Ursprünglich für Fossilien entwickelt, kann das Fach als Konzept auf die meisten archäologischen Fundgruppen, auch auf Artefakte im engeren Sinn, angewendet werden. In der Archäozoologie kann es als die eigentliche Quellenkritik betrachtet werden. Untersuchungen zu Skelettverteilung, Fragmentierung, Zerlegungsspuren und räumlicher Verteilung gehören zum Methodeninventar. In gewisser Weise kann Archäozoologie als angewandte Taphonomie von Tierresten in der durch den Menschen beeinflussten Sphäre betrachtet werden.

 

 

Zooarchaeology is mainly about relative data

(Umberto Albarella, ZOOARCH e-mail list, february 2015)

Die Archäozoologie kann ihr Erklärungspotenzial wahrscheinlich am besten im Rahmen von intra-site Analysen entfalten. Sobald es eine halbwegs brauchbare Menge von Proben gibt, können diese zur Klärung von Schichtbildungsvorgängen und zur Interpretation der Funktion von archäologischen Strukturen herangezogen werden. Menschliche Aktivitäten und andere Faktoren erzeugen meist ein bestimmtes Muster (eine „bonescape“, Knochenlandschaft) innerhalb einer Fundstelle. (Siehe Grafik über mögliche Faktoren für Muster und Gradienten). Solche „bonescapes“ sind das eigentliche Signal für weitere Interpretationen, nicht etwa der einzelne Knochen. Dieser Ansatz ist grundsätzlich mit der Erhebung von Daten im Bereich der geophysikalischen Prospektion und in ähnlichen Forschungsfeldern vergleichbar. Dabei ist der Informationsgehalt von Tierresten oft komplementär zu demjenigen von Keramik, welche die andere große Fundgruppe in Siedlungen darstellen. Oder wie es Terry O’Connor im privaten Gespräch sinngemäß ausgedrückt hat: der Keramikinhalt einer archäologischen Struktur sagt wenig über deren Tierknochenführung aus. Das Verhältnis dieser beiden wichtigen Fundgruppen zueinander ist noch sehr wenig erforscht.

Wirkliche Interdisziplinarität wird dann erreicht, wenn Fachleute aus unterschiedlichen Richtungen gemeinsam die Interpretation von archäologischen Strukturen erarbeiten.

Es bedarf daher eigentlich keines Kommentars dass archäozoologische Untersuchungen nur dann einen Sinn haben, wenn Grabungen ordnungsgemäß durchgeführt wurden, und kontextuelle Information vorhanden und zugänglich ist.

Im Unterschied zur physischen Anthropologie hat die Archäozoologie ihren Schwerpunkt in der Siedlungsarchäologie, obwohl Tierreste auch als Grabbeigaben auftreten können. Sogar Tierfriedhöfe wurden bekannt, unter anderem im Bereich der Schlachtfeldarchäologie.

Eine Zusammenstellung von vernünftiger Einführungsliteratur finden sie hier.