Forschungsschwerpunkte und laufende Projekte
Untergliederung – nach Perioden
Mit Ausnahme des Paläolithikums werden am Arbeitsbereich VIAS-Archäozoologie Tierreste aus allen ur- und frühgeschichtlichen Perioden Österreichs untersucht. Durch die bestehenden Kooperationen und das verfügbare Material ergeben sich jedoch bestimmte regionale und chronologische Schwerpunkte. Die Bearbeitung von Tierresten aus österreichischen Paläolith-Grabungen wird derzeit von Florian Fladerer am Institut für Paläontologie der Universität Wien koordiniert.
Neolithikum
In den letzten Jahren gelangten Proben von verschiedenen jungsteinzeitlichen Kulturen aus dem Raum Niederösterreich (Stoitzendorf, Furth bei Göttweig) zur Bearbeitung. Diese stammen meist aus Rettungsgrabungen und wurden u.a. vom Verein ASINOE übermittelt.
Bronzezeit
Bronzezeit
Hier besteht seit längerem eine Kooperation mit der Prähistorischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, wobei der Schwerpunkt in der Urnenfelderzeit liegt: Oberleiserberg (Siedlung), Nussdorf/Traisen (Gräberfeld).
Eisenzeit
Gräberfelder: Führholz in Unterkärnten, Wöllersdorf, NÖ (in Planung ).
Siedlungen: Prellenkirchen (Kooperation Bundesdenkmalamt).
Römische Kaiserzeit und Spätantike
Die provinzialrömische Periode bildet seit längerem einen besonderen Arbeitsschwerpunkt von VIAS. Dank des reichen Fundgutes ist es möglich, nicht nur chronologische Entwicklungen, sondern auch unterschiedliche gesellschaftliche Milieus anhand des Knochenabfalls zu untersuchen. Drei laufende bzw. unlängst abgeschlossene Projekte seien daher etwas ausführlicher vorgestellt:
Östlicher Lagervicus von Mautern/Donau (Niederösterreich)
Link, Römische Kaiserzeit und Spätantike
Ebenso wie die Bereits publizierten Knochenproben aus dem Kastell von Mautern – Favianis gab auch das wesenlich umfangreichere Material aus den Grabungen des ÖAI in den Jahren 1997-99 die Gelegenheit, den Zusammenhang zwischen Befundtyp, Fleischkonsum und Tierartenzusammen-setzung zu studieren.
Letztere ist zwar ziemlich eintönig, – es sind fast nur Haustierknochen vorhanden – die Reste selbst bezeugen aber eine intensive menschliche Nutzung: der Anteil der Knochen mit Hackspuren und anderen Oberflächenmarken ist sehr hoch.
Insbesondere bei den Rinderknochen liegen zahlreiche Hinweise auf den Konsum von geräuchertem oder sonstwie haltbar gemachtem Fleisch vor.
Die Schweinezucht vor Ort ist dagegen durch Konzentrationen von unverwerteten Skeletten von ganz jungen Ferkeln belegt.
Das äußerst umfangreiche Material erforderte eine strenge Materialauswahl, wobei einigen geschlossenen, gut datierbaren archäologischen Objekten der Vorzug gegeben wurde.
Nachdem im Vicus offenbar regelmäßig größere Mengen Schlachtvieh zur Verwertung gelangten, konnte sich auch die Weiterverwendung bestimmter Abfallprodukte zur Geräteherstellung (z.B. von Rinderkiefern als Schlittenkufen) in opportunistischer Weise entwickeln. In sozialhistorischer Hinsicht lassen sich die Vicusbewohner als vermutlich wenig privilegierte, teils auf Versorgung angewiesene, teils selbst produzierende Gruppe ansprechen.
Zivilstadt Carnuntum, Kanalsystem und Straßenunterbau im Bereich der Weststraße (Niederösterreich; Archäologischer Park Carnuntum)
Link, Römische Kaiserzeit.
Ein ganz anderes soziales Milieu als in Mautern wird durch den Knochenabfall aus einer Kanalverfüllung und anderen Befunden aus dem Unterbau einer Straße in der Zivilstadt von Carnuntum fassbar.
Das Material wurde anscheinend sehr rasch eingebettet und zeigt darum kaum Spuren von Verarmungs- oder Zerstörungsprozessen – es dürfte weitgehend der seinerzeit entstandenen Abfallvergesellschaftung entsprechen.
Die Reste der Wirtschaftshaustiere zeigen ein hohes Maß an Selektivität, was die Auswahl der vorhandenen Skelettreste anbelangt.
So finden sich vom Rind einerseits Schädel- und Klauenelemente, andererseits Rippenstücke.
Wahrscheinlich handelt es sich um eine Kombination von gewerblichen Abfällen aus einer Schlachterei sowie von unmittelbaren Nahrungsresten einer gehobenen, urbanen Bevölkerungsgruppe. Darauf deuten auch die vergleichsweise hohen Geflügel- und Fischanteile sowie die Residuen von Hauskatzenkadavern.
In verbreitungsgeschichtlicher Hinsicht ist das Auftreten der Hausratte bemerkenswert.
Das Gräberfeld von Halbturn (Burgenland)
Link1, Link2, Römische Kaiserzeit und Spätantike.
Das Tierknochenmaterial aus dem seit den späten 80er-Jahren ausgegrabenen Gräberfeld von Halbturn, das zu einer nahe gelegenen Villa rustica gehört, bietet ein gutes Beispiel dafür, wie der zoologische Befund die Interpretation einer Lokalität erweitern kann: die zum Teil recht komplizierten Strukturen (Grabgärtchen, Gräbchen, Flurgräben) des in erster Linie als Nekropole wahrgenommenen Areals dienten zur Aufnahme von tierischen Abfällen, die nur zum Teil als Grabbeigaben interpretierbar und deshalb mit dem Bestattungswesen in Zusammenhang gebracht werden können.
Es herrschen vielmehr Skelette, Teilverbände und deren Residuen von anscheinen nicht konsumierten, sondern bestenfalls abgehäuteten Arten (Pferde, und Hunde, aber teilweise auch Rinder) vor. Der Anteil der Knochen, die einen Konsumprozess durchlaufen haben und entsprechende Oberflächenmarken aufweisen, ist dagegen sehr niedrig. Viele Knochen weisen Spuren von Feuerbeeinflussung auf. Es gehört zu den offenen Fragen, die sich bei der Bearbeitung dieses Materials stellen, ob die Knochenanhäufungen mit dem Totenkult oder mit besonderen hygienischen Maßnahmen im Rahmen der „Säuberung“ des Geländes zusammenhängen. Der ansonsten geringe Zerstörungsgrad insbesondere der Langknochen ermöglicht hier eine gute biometrische Erfassung der römischen Nutztiere. Als Anzeiger für das Vorhandensein einer gehobenen bzw. besonders „romanisierten“ Bevölkerungsgruppe kann das Auftreten von Zwerghunden gewertet werden.
Mittelalter und Neuzeit
Durch Herbert Böhm werden derzeit die Tierreste aus den frühmittelalterlichen Gräberfeld von Frohsdorf (Niederösterreich; FWF-Projekt P16593) und einer antiken und mittelalterlichen Bergbausiedlung bei Hüttenberg (Kärnten; FWF-Projekt P16069 „Ferrum Noricum Hüttenberg“, Leitung B.Cech) untersucht.
Als besonders lohnend erweisen sich weiters Tierknochenproben aus spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kloster- und Stadtkernfundstellen (Kartause Mauerbach, Dominikanerinnenkloster Tulln, Wien – Alte Universität und Herrengasse), weil sie unmittelbaren Einblick in die Methoden der Speisenzubereitung und die identitätsstiftende Bedeutung mancher Tierarten (Fastenspeisen; u.a. Schildkröten Schildkrot) erlauben.
Arbeitsspuren - Zerlegung
Tierknochen „zeichnen“ gut, sie sind nämlich
- hart genug bzw. ausreichend mineralisiert, um im Boden die Zeiten zu überdauern,
- aber andererseits auch hinreichend weich, sodass sie durch härtere Substanzen beschädigt werden und diese Spuren auch im fossilen Zustand behalten.
Auf Knochen bilden sich deshalb Arbeitsspuren, die mit Stein- oder Metallwerkzeugen zugefügt werden, auf eine charakteristische Weise ab.
Menschliche Tätigkeiten, die am Tierkörper vorgenommen wurden, sind daher nachvollziehbar. In günstigen Fällen können sogar ganze Handlungsabläufe („chaîne opératoire“) vom Abhäuten, Zerlegen bis zur Speisenbereitung und Entsorgung verfolgt werden. Welches andere archäologische Fundmaterial vermag so viel Auskunft über Prozesse zu geben?
Knochenartefakte – ein Aufruf!
Bis zur industriellen Revolution spielten tierische Hartsubstanzen (Knochen und Zähne) in der Herstellung von Gebrauchsgegenständen eine bedeutende Rolle, und zwar vielfach dort, wo heute Kunststoffe oder Leichtmetalle eingesetzt werden. Daher die abwertende Bezeichnung vom „Plastik der Urzeit“.
Nachdem es sich oft um einfache und unspektakuläre Formen handelt, wird oft vermutet, dass bis zu 30 % oder mehr der Knochengeräte eines Fundkomplexes zunächst dem zoologischen Material zugeordnet werden und dort meist auch verbleiben, weil sich keine Seite (Zoologie, Fundbearbeitung) wirklich zuständig fühlt. Umgekehrt finden sich in so mancher Sammlung als Artefakte inventarisierte, aber vollkommen unschuldige Tierknochen, weil ihre Form an bestimmte Geräte erinnert. Hier tut interdisziplinäre Kommunikation Not, eine ganze Fundgruppe wird sonst systematisch unterbewertet!
Ein eindrucksvolles Beispiel wären Schlittenkufen, die aus Rinderunterkiefern angefertigt wurden (Kieferkufe aus dem Unterkieferpaar eines Hausrindes angefertigte Schlittenkufen; Mautern/Favianis). Dieser Gerätetyp ist in manchen provinzialrömischen und eisenzeitlichen Situationen anscheinend weit verbreitet, wurde aber bislang meist nicht als Artefakt wahrgenommen, weil die Veränderungen am Knochen selbst verhältnismäßig gering sind.
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