Hadersdorf - ein frühneuzeitlicher Brunnen- bzw. Latrinenfund

Mittelalterliche und frühneuzeitliche Latrinen wurden nicht nur zur Aufnahme von (menschlichen) Fäkalien genutzt, sondern auch zur Entsorgung von Abfall aller – organischer und anorganischer – Art, der im jeweiligen Haushalt anfiel. In der Regel wurden Latrinen, die nicht mehr genutzt wurden, nicht entleert, sondern einfach verschlossen. Der Latrineninhalt bleibt, aufgrund der Erhaltungsbedingungen üblicherweise in feuchtem Milieu und unter Luftabschluss, in einem breiteren Spektrum erhalten, als dies in mitteleuropäischen Trockenböden sonst der Fall ist. So können in Latrinenfunden nicht nur Objekte aus Keramik, Glas, Stein, Metall oder Knochen erhalten bleiben, sondern auch organische Reste wie unverkohlte bzw. subfossile Pflanzenreste, aber auch organische Artefakte wie beispielsweise Lederschuhe oder Textilien.

Somit beinhalten Latrineninhalte einen überaus reichhaltigen Daten- bzw. Quellenpool zur Lebensrealität vergangener, historischer Populationen. Sie ermöglichen es, Fragen zur materiellen Kultur, sozialen und ökonomischen Verhältnissen, Ernährung und Gesundheit und Hygiene von Bevölkerungsgruppen zu beantworten aber auch sich Aspekten von Umwelt- und klimatischen Bedingungen anzunähern.

 

Hadersdorf/Kamp. Rathaus

Ein derartiger, reicher Daten- bzw. Quellenpool in Form einer frühneuzeitlichen Brunnen- bzw. Latrinenverfüllung liegt aus Hadersdorf am Kamp in Niederösterreich vor. Im Jahre 1991 kam im Zuge von Umbau- und Renovierungsarbeiten im Rathaus von Hadersdorf ein verfüllter Brunnenschachte zutage. Im Auftrag des Bundesdenkmalamtes erfolgten im Oktober 1991 und Jänner 1992 archäologische Untersuchungen. Dabei wurde die gesamte Verfüllung entnommen und unmittelbar nach den Grabungsarbeiten durch Nass-Sieben aufbereitet.

Die nun seit 2016 laufende Aufarbeitung und Auswertung von Befunden und Funden erfolgt unter Einsatz archäologisch-typologischer und naturwissenschaftlicher Methoden und strebt die Rekonstruktion eines umfassenden historischen Bildes zum Leben in einer Marktsiedlung der Frühneuzeit in Niederösterreich und im mitteleuropäischen Vergleich an.Das vom Land Niederösterreich (Abteilung K1 - Kunst und Kultur) finanziell unterstützte Projekt wird in Kooperation mit KollegInnen der Universität Wien (Department für Botanik und Biodiversitätsforschung) und des Österreichischen Archäologischen Institutes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften durchgeführt.

Projektschwerpunkte

  • Alltag und Entsorgungspraxis in Marktsiedlungen der Frühneuzeit
  • Soziale und ökonomische Verhältnisse der Latrinennutzer anhand ihrer materiellen Kultur und der Nutzung von Wild- und Kulturpflanzen sowie Wild- und Haustieren
  • Ernährung und Gesundheit hinsichtlich der Verwendung von pflanzlichen und tierischen Nahrungsmitteln und des Auftretens bestimmter entomologischer Arten
  • Frühneuzeitliche Keramikchronologie in Niederösterreich