Die Schmiedetechnik der Heiligen Lanze der Schatzkammer des Kunsthistorischen Museums Wien

Einleitung

Die Heilige Lanze in der Schatzkammer des Kunsthistorischen Museums Wien stellt ein Objekt von außerordentlichem archäologischem und historischem Wert dar. Zahlreiche Publikationen rund um diese Lanze belegen das rege Interesse an ihr selbst sowie an ihrer Geschichte. Der vorliegende Beitrag stellt die gekürzte Version eines vom Autor verfassten Berichtes zu den Ergebnisse eines Forschungsprojektes dar, das der archäometallurgischen Untersuchung der Heiligen Lanze gewidmet war.

Die bis dahin durchgeführten technologischen Untersuchungen an der Lanze lagen schon geraume Zeit zurück, sodass es angebracht erschien, diese Ergebnisse zu überprüfen und kritisch zu betrachten. Um weiterführende Erkenntnisse zum Aufbau der Lanze und zur Schmiedetechnik zu erlangen, standen ausschließlich zerstörungsfreie Analysemethoden zur Auswahl.

Die Heilige Lanze lässt sich in ihrem überlieferten Zustand in verschiedene Einzelteile untergliedern in das ausgestemmte Lanzenblatt, das durch den Bruch in einen Oberteil und einen Unterteil zerfällt, den in das Lanzenblatt eingesetzten so genannten Knebelstift, zwei seitlich an der Tülle angebundene Eisenblätter, die als Messerklingen interpretiert wurden, und einen nachträglich angesetzten Schaftring. Eine Lederumwicklung, sechs Silberdrahtwicklungen und insgesamt drei Manschetten (aus Eisen, Silber bzw. Gold) halten dieses Gefüge zusammen. Dieser Zustand ist das Resultat mehrfacher Eingriffe, die aus einer ursprünglich gebrauchsfähigen Flügellanze des 8. Jahrhunderts bekanntlich ein Objekt von ganz besonderem Charakter haben werden lassen. Dabei hat der hinzugekommene Symbolwert als Herrschaftszeichen und Reliquie den Verlust an Nutzen als Kampfwaffe mehr als kompensieren können, wie die historischen Zusammenhänge deutlich erweisen.

Besonders bemerkenswert ist der außergewöhnlich gute Erhaltungszustand der Lanze. Bislang ist kein diesbezüglich entsprechendes Vergleichsstück bekannt, handelt es sich doch bei allen anderen zeitgleichen Flügellanzen um Boden- oder Flussfunde, die entsprechend stark korrodiert sind und dadurch nur begrenzte Aussagen zu Aufbau und Bearbeitung erlauben.

Die Lanze in zerlegtem Zustand.

Das Lanzenblatt wird mittels Auflichtmikroskop untersucht, Aufnahme von Philipp Horak

Mit Hilfe bereits vorliegender Röntgenaufnahmen der Lanze (in unzerlegtem Zustand) und einer umfassenden Untersuchung mit einem Auflichtmikroskop (Wild Heerbrugg Photomakroskop M 400) wurde von den Autoren im Herbst 2003 eine Reihe von Fragestellungen erarbeitet, die in der Folge gemeinsam mit den Verfassern der anderen Beiträge des Buches diskutiert und weiterentwickelt wurden.
Basierend auf diesen Vorarbeiten wurden im Februar 2004 -- erstmals wieder seit 1924 -- die goldene und die silberne Manschette abgenommen und eine ausführliche Befundung durchgeführt.


Fragestellungen

Diese erfasste zunächst allgemein die Gestalt der Einzelteile und die genauen Abmessungen und konzentrierte sich dann im speziellen auf Beobachtungen zu Material, Schmiedetechnik und Konstruktion sowie zu Bearbeitungsspuren und Adaptierungsmaßnahmen.
Neben den grundsätzlichen Fragen nach dem Aufbau und den Abmessungen des Objekts war natürlich auch von Interesse, wie die Lanze ursprünglich ausgesehen hat bzw. wie sie konstruiert war. Weiters sollte untersucht werden, wie sie verwendet wurde und welche Spuren dies am Objekt hinterlassen hat. In welcher Abfolge wurden die Veränderungen durchgeführt, und wie hat die Lanze jeweils danach ausgesehen? Daneben sollte eine Reihe von schmiedetechnischen Fragen beantwortet und somit eine Einordnung des Objekts hinsichtlich seiner diesbezüglichen Qualität ermöglicht werden, wie dies u. a. von Paulsen in seinem Artikel versucht wurde.

An der Spitze der Lanze ist eine Fehlstelle erkennbar. Stammt sie vom Abfeilen von Spänen, die in der Folge in eine weitere Reliquie eingearbeitet werden sollten? Die Rillen an der Tülle sind stark abgewetzt: Resultiert dies möglicherweise von der Verwendung als Fahnenlanze, wie Erik Szameit es postuliert, oder lässt sich darin das in der Literatur beschriebene Abfeilen von Spänen erkennen? Wie sind die Rillen, die seitlich die Eisenblätter halten, in die Tülle und die Flügel eingearbeitet worden? Welche Halterungsmechanismen sichern den Knebelstift gegen ein Herausfallen, und wie wurde er hergestellt? Wies der Knebelstift am untersten Knoten ebenfalls eine Tauschierung auf? Stellt die Drahtumwicklung die ursprüngliche (älteste) Halterung des Knebelstiftes dar? Wurde der Schaftring am unteren Ende der Tülle mittels „Kaltgelötung“ befestigt, wie Peter Paulsen es beschreibt? Wie wurden die Gold- und die Silbermanschette gefertigt und die darauf sichtbare Schrift eingearbeitet? Welche Materialzusammensetzung kann festgestellt werden? Welche Art der Vergoldung liegt vor?

 

Befundung

(ausführliche Beschreibung – siehe Publikation)

Die Maße
Das Gesamtgewicht der Lanze beträgt 970 g. Im zusammengefügten Zustand weist sie eine Gesamtlänge von 510 mm auf; davon entfallen 266 mm auf den Oberteil, 244 mm auf den Unterteil. Die maximale Breite des Lanzenblattes beträgt 51,1 mm; im Bruchbereich weisen die Schneidenkanten einen Abstand von 43,2 mm auf.

 

Zusammenfassung & Ergebnisse

Es lassen sich mehrere Stellen feststellen, an denen ein Fehlen von Metall beobachtet werden kann, obwohl sich aus technologischer Sicht kein Grund dafür erkennen lässt. Zum einen wurde der untere Bereich des Knebelstifts durch Abmeißeln intentionell entfernt. Zum anderen weist er am untersten Knebel einen Eingriff (Feilspuren) in das Material auf. Ebenso fehlt an seiner Rückseite ein vormals eintauschiertes Messingkreuz; das Messingkreuz am mittleren Knebel weist ebenfalls eine Beschädigung auf. Die Spitze des Lanzenblattes lässt eine Fehlstelle erkennen, ähnlich dem Bild, das durch Abfeilen von Metall entsteht. Die Tülle ist an den Flachseiten stark verschliffen, jedoch lässt sich dieses Schadensbild eher durch eine länger dauernde gleichmäßige Beanspruchung, wie sie bei einer Verwendung als Fahnenlanze auftreten kann, erklären, denn durch Abarbeiten von Material mit einer Feile. Weiters fehlt am rechten Flügel ein schmaler Eisenstreifen von ca. 9 x 2 mm, worauf auch schon Peter Paulsen aufmerksam gemacht hat. An der untersten Silberdrahtwicklung des Oberteils kann das Fehlen einiger Wicklungsteile festgestellt werden. In welcher Zeitperiode diese oben beschriebenen Veränderungen stattgefunden haben, läßt sich nicht mit letzter Sicherheit eruieren.

An dieser gewöhnlichen Flügellanzenspitze mit ihrer für die 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts typischen Form kam es zu einer Reihe von Eingriffen. Nach dem Herausarbeiten des Mittelgratbereiches und der Reparatur der Schneide mittels eines kurzen Metallbandes wurde der Knebelstift mit den Möndchen eingesetzt.

Davor war die Lanze überschliffen worden, und die verschiedenen Messingkreuze waren mittels Tauschierung angebracht worden.

Unter Umständen kam es schon während der ersten Veränderung der Flügellanze, der Adaptierung als Träger des Knebelstiftes, oder kurz danach zum Bruch des Lanzenblattes, das mit Hilfe einer Eisenmanschette gestützt werden musste. In weiterer Folge wurden die Messer mit Hilfe der Lederdrahtwicklung befestigt.

Der an die Tülle angesetzte Schaftring dürfte zu diesem Zeitpunkt ebenfalls schon vorhanden gewesen sein, jedoch lässt sich kein genau eingrenzbarer Zeitraum für diese Umgestaltungen benennen. Vermutlich fanden diese Veränderungen der Lanze vor der Mitte des 10. Jahrhunderts statt.

An der rechten Seite wurde zur Reparatur ein Metallstreifen durch Feuerschweißung angebracht.

Bereits vor dem Anbringen der Silbermanschette unter Kaiser Heinrich IV. (reg. 1056--1105) dürfte der untere Teil des Knebelstiftes entfernt worden sein. In dieser Manschette waren von Beginn an zwei Klammern vorgesehen, die den gekürzten und dadurch locker sitzenden Nagel gegen Verrutschen nach unten sichern sollten. Anschließend wurden die sichtbaren Bereiche der Lanze von der Lederwicklung befreit, und es wurde am Ober- und Unterteil eine Silberdrahtwicklung angebracht. Wir werden nicht fehlgehen in der Annahme, dass diese Veränderungen als ein Ereignis zu betrachten sind. Als letzte große Veränderung erfolgte die Anbringung der Goldmanschette im 14. Jahrhundert.

 

Literatur

Franz Kirchweger (Hg.) Die Heilige Lanze in Wien. Insignie -- Reliquie -- „Schicksalsspeer“. Mit Beiträgen von Gunther G. Wolf, Christian Gastgeber, Franz Kirchweger, Volker Schier, Corine Schleif, Erik Szameit, Mathias Mehofer, Verena Leusch, Birgit Bühler, Manfred Schreiner, Vladan Desnica, Dubravka Jembrih-Simbürger (Schriften des Kunsthistorischen Museums hrsg. von Wilfried Seipel, Bd. 9), Mailand – Wien 2005, ca. 240 Seiten, 150 Abbildungen.